„Vuchelbeerbaamland“ / Literarisches Debüt der Plauenerin Reglindis Rauca mit autobiografischem Hintergrund

Plauen – Reglindis Rauca ist schmal, schlank und sehr lebendig. Die vielen, leuchtend roten Haare hat sie mit Marie, der Heldin ihres Romans, gemeinsam. Doch nicht nur das. In ihrem Buch „Vuchelbeerbaamland“ beschreibt Reglindis Rauca auf den ersten Seiten die Stadt Plauen, den Geburtsort Maries. Auf der letzten Seite ist das Mädchen 16 und verlässt die Stadt, die Eltern und stellt in Frage, was bis dahin als gewiss und begründet galt. Sie ist einen Schritt weiter zu sich selbst gekommen. Dazwischen passiert Ungeheuerliches.

Momente, die das Leben ändern Es gibt auf die Frage, was einen Autor bewog, ein Buch zu schreiben, keine eindimensionale Antwort. So kann auch die Geschichte, die Reglindis Rauca erzählt, nur einen Teil der Antwort darauf geben. Es klingt theatralisch, doch es gibt im Leben Momente, die verändern ein Leben. Von heute auf morgen. Aus heiterem Himmel. So auch bei ihr. Sie gibt 2003 aus einer Laune heraus ihren Namen in eine Suchmaschine ein. Bei den meisten von uns passiert wohl gar nichts, wenn sie das tun. Dieses Nichts repräsentiert die beruhigende Gewissheit anonymer Belanglosigkeit. Nicht so bei Frau Rauca. Sie stößt voller Entsetzen auf ein Familiengeheimnis. Zwar gab es darüber Andeutungen, die Eltern hatten die Angelegenheit aber immer als Tabu behandelt.

Großvater ist ein Mörder
Im Internet erfährt Reglindis Rauca mit Erschrecken, dass ihr Großvater in den Vierzigerjahren im Baltikum als SS-Angehöriger verantwortlich war für den Mord an mehr als zehntausend Juden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er nach Kanada ausgewandert. Ein Auslieferungsverfahren führte dazu, dass ihm Anfang der Achtziger in der Bundesrepublik der Prozess gemacht werden soll. Bevor es zur Anklage kam, starb der 1908 im vogtländischen Trieb geborene Albert Helmut Rauca 1983 in Kassel im Untersuchungsgefängnis. Wie geht man mit so einer Schreckensnachricht um? Reglindis Rauca beginnt, „Vuchelbeerbaamland“ zu schreiben, ein Buch über ihre Kindheit und Jugend in Plauen, um mit dieser familiären Katastrophe, für die sich nichts kann, fertig zu werden. Der Preis, den sie dafür zahlt, ist hoch. Als ihr Roman erscheint, brechen ihre Eltern den Kontakt zu ihr ab.

Aufgewachsen ist sie in einem der damals sehr dunklen, heute rekonstruierten riesigen Häuser an der Klemmstraße in Plauen – mit Blick auf eine Villa, die geheimnisvoll in einem Park liegt. Das Mädchen geht bis zur 10. Klasse in die Kemmlerschule. Ihr Musiklehrer, von ihr verehrt, ist Werner Löffler. Bis zum Abitur besucht sie zwei Jahre die damalige Erweiterte Oberschule „Erich Weinert“; Albrecht Schönfelder ist Klassenlehrer, Martin Schmidt unterrichtet ihre Klasse als Kunsterzieher. Frau Mothes, bei der sie Staatsbürgerkunde hat, ist ihr als angenehm in Erinnerung. Diese Frau habe auch zugeben können, dass sie nicht gleich auf alles eine Antwort habe.

„Die Roten, das üble Pack“
Problematisch sei es gewesen, in der Schule mit sozialistischer Erziehung indoktriniert zu werden und zu Hause von „den Roten als üblem Pack“ zu hören. Zumal auch bei ihr galt, dass ein junger Mensch anfällig für die Ideen der theoretischen Gleichheit und Brüderlichkeit sein kann. Jugendliche Opposition habe sich dann in einer christlichen Orientierung geäußert, sagt sie heute. Doch auch damit sei längst Schluss, verrät Reglindis Rauca, die seit langem aus der Kirche ausgetreten ist. Ähnlich wie ihre Heldin Marie verlässt Frau Rauca nach dem Abitur ihre Heimatstadt Plauen. Sie geht nach Dresden. Mit allen Sinnen genießt sie das kulturell-geistige Angebot der sächsischen Großstadt: Theater, Konzerte, Ausstellungen. Reglindis Rauca erwirbt in Dresden den Berufsabschluss als Krankenpflegerin und bewirbt sich als Schauspielerin im Wendejahr 1989 an der Schauspielschule „Ernst Busch“ in Berlin. „Entweder Medizin oder Schauspiel wollte ich studieren.“

„Talent des Jahrzehnts“
Obwohl in Berlin als „Talent des Jahrzehnts“ apostrophiert, gerät sie an eine Professorin, die ihr die Ausbildung als Schauspielerin so vergällt, dass Reglindis Rauca den guten Ratschlag annimmt, und sich ohne Abschluss an einem Theater bewirbt: Am Neuen Theater in Senftenberg wird sie Schauspielerin und kriegt gleich zu Beginn ihrer Karriere eine Hauptrolle, die ihr wie auf den Leib geschneidert ist: Pippi Langstrumpf.

Inzwischen lebt sie gemeinsam mit ihrem Mann, dem Regisseur und Schauspieler Götz Langer, der auch in Plauen schon inszeniert und seine Spuren hinterlassen hat, seit einigen Jahren in Düsseldorf. Noch in ihrer Senftenberger Zeit hat sie extern den Abschluss als Schauspielerin, das Bühnenreifediplom, abgelegt und ist heute freiberuflich tätig. Sie arbeitet als Grafikerin und Werbetexterin, die auch mit angewandter Kunst ihr Geld verdient.

Und jetzt ist sie auch eine erfolgreiche Autorin und Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller. Ihr Romandebüt „Vuchelbeerbaamland“, erschienen im Mitteldeutschen Verlag, wurde mit dem mit 4000 Euro dotierten Förderpreis der Stadt Düsseldorf ausgezeichnet. Derzeit arbeitet Frau Rauca an Erzählungen und einem weiteren Romanprojekt, das sich mit ihrer Zeit in Dresden beschäftigt.

Lutz Behrens, Vogtland-Anzeiger, 23. August 2008