Die in der Vogtlandstadt geborene Autorin Reglindis Rauca legt einen preisgekrönten Debütroman vor: „Vuchelbeerbaamland“

Plauen. Ein solcher Start in die Literatur hätte dem Plauener Mädchen nicht träumen können. Die kleine rothaarige Außenseiterin träumt sich alles mögliche zusammen und auch Schriftstellerin zu werden – nicht ausgeschlossen.

Reglindis Rauca erhält für ihren Debütroman „Vuchelbeerbaamland“ den Literatur-Förderpreis der Stadt Düsseldorf, wo die ehemalige Plauenerin jetzt lebt. Mit dieser Empfehlung ist das Buch im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienen, rechtfertigen allerdings muss sie sich in den Augen der Leser. Auf dem Vuchelbeerbaam wachsen keine Vorschusslorbeeren. Und das literarische Erstlingswerk von Reglindis Rauca braucht auch keine. Von der ersten bis zur letzten Zeile hält die Autorin den Leser in Atem – es ist ein feines, warmherzig empfundenes Buch.

Die Metapher vom Vuchelbeerbaamland geht literarisch schnell auf: Es ist das Land, wo die feuerroten Früchtchen wachsen, wo es keinen schöneren Baum zu verehren gibt und das kleine Mädchen wegen seiner feuerroten Haare als Hexenkind verspottet und verlacht wird.

Marie wächst inmitten dieses Landstrichs auf, Plauen wird sofort geortet und das mit einer regelrechten Liebeserklärung, und im Erzgebirge wird man der Autorin gern genehmigen, dass sie Lied und Land vom Vogelbeerbaum mit dem Vogtländischen allein identifiziert. Plauen also mittendrin, aber doch am Rande des Landes der „Roten“, die Maries Vater von Grund auf verhasst sind, und die Mutter jammert dauernd, dass „damals“ die Grenze nicht die wenigen 20 Kilometer weiter runter gezogen wurde… Dann wären sie alle drüben und alles wäre anders.

Denn so schön wie es besungen wird, erlebt Marie das Vuchelbeerbaam-Land nicht. Das aufgeweckte, begabte, kritische, immer fragende Kind ist dauernd eingezwängt zwischen dem bigotten Elternhaus und der sozialistischen Schule, Kindergottesdienst und Junger Gemeinde hier und Jugendverband dort. Ein teuflisches Nest, in dem man wegen roter Haare und viel Grips drunter zum Außenseiter wird. Marie träumt sich fort und ihr einziger Anhaltspunkt, mit dem sie etwas anfangen kann, ist der in Kanada lebende Großvater, den sie allerdings nur aus Briefen und Paketen kennt. Fünfzehn ist sie, als der Traum aus ist. Der Großvater wird von Kanada an die Bundesrepublik ausgeliefert, die Eltern beschwichtigen. Bis Marie selbst herausbekommt, dass der Großvater ein großer SS-Führer war und für den Mord an 10.000 litauischen Juden verantwortlich ist. Ihre Welt bricht zusammen, nun fühlt sie sich wirklich als Hexenkind.

Reglindis Rauca schreibt unverstellt autobiografisch und mit großem literarischen Talent in einer reifen Sprache. Das Morbide der Verhältnisse, unter denen Marie aufwächst, Gesellschaft und Familie, wird erzählerisch-episodisch enthüllt, nicht ohne sarkastischen Humor im Unterton und mit Anflug der vogtländischen Mundart. Die Autorin fühlt sich mit Christian Morgenstern im Bunde und zitiert vielsagend seine Galgenlieder. Es geht nie aus Plauen heraus, höchstens in die nähere Umgebung, Maries Eltern erlauben keine Kur und nicht die Teilnahme am Ferienlager. Plauen bleibt Plauen. Auch für sie. Und dennoch ist die Welt mit all ihren Brüchen und Zwängen, Widersprüchen in diesem Buch greifbar, gespiegelt im Persönlichen, im Erleben.

Das Vuchelbeer-Land, so schön es ist, wird von nichts verschont. Hier wuchs der Großvater Maries auf, von hier aus ging er als Hauptscharführer der SS zum massenhaften Morden. Von hier geht Marie weg, wirft die Tür zum Vuchelbeerbaam-Land zu. Wo aber haben wir eine bleibende Statt?

Reinhold Lindner, Freie Presse, 08. August 2008